Täglich ein Bier für Patienten: In einer Studie am Unispital Basel soll überprüft werden, ob diese Methode dem gefährlichen Delir vorbeugt. Eine Expertin ordnet das Ganze ein.
Was hat es mit der Basler Bier-Studie auf sich?
„Alkohol als Delirprophylaxe ist keine neue Idee“, sagt Fatima Halzl-Yürek. Die Fachärztin für Anästhesiologie ist Oberärztin an der Charité in Berlin und hat sich auf das Delir spezialisiert, den gefährlichen Zustand der Verwirrtheit. „Alkohol ist sinnvoll, wenn eine Abhängigkeit besteht.“
Früher wurden auf den Intensivstationen tatsächlich Bierkästen vorrätig gehalten, um mit Bier bei Alkoholkranken ein Entzugsdelir zu verhindern. Heute werden dafür meist Medikamente verwendet. In Basel testen die Forschenden nun, ob ein halber Liter Weizenbier, der Patientinnen und Patienten täglich verabreicht wird, die sonst nur gelegentlich trinken, ein Delir verhindern kann.
Was ist ein Delir und wann tritt es auf?
Bei einem Delir arbeitet das Gehirn nicht mehr richtig. Die Betroffenen sind oft verwirrt und in ihrem Wesen verändert. Das Risiko für akute Komplikationen sowie für eine spätere Demenz und einen früheren Tod ist erhöht. Delir-Expertin Halzl-Yürek hat schon viele Betroffene erlebt: „Sie wissen nicht, wo sie sind, haben oft Angst und können unter Halluzinationen leiden.“
Einige Betroffene sind hyperaktiv und aggressiv. Aber viel häufiger sind die Patientinnen und Patienten schläfrig und apathisch. Dann ist die Gefahr groß, dass man bei ihnen ein Delir übersieht, wenn man nicht aktiv danach sucht.
Ein Delir kann nach einer Operation auftreten und bei akuten Erkrankungen wie Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, epileptischen Anfällen oder fieberhaften Entzündungen.
Dr. Fatima Halzl-Yürek ist Fachärztin für Anästhesiologie und Oberärztin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sie ist spezialisiert auf Delirprävention
© Charité – Universitätsmedizin Berlin
Wer ist besonders gefährdet?
Bis zu 80 Prozent der Intensivpatientinnen und -patienten haben ein Delir. Besonders gefährdet sind ältere Menschen mit vielen Vorerkrankungen, die verschiedene Medikamente einnehmen. Aber auch Jüngere können betroffen sein, zum Beispiel nach schweren Verletzungen oder Operationen. Meist müssen mehrere Risikofaktoren zusammenkommen, um ein Delir auszulösen, zum Beispiel eine Umstellung von Medikamenten, Schmerzen, eine Infektion oder Elektrolytstörungen.
Die Behandlung ist schwierig: „Medikamente können die Symptome eines Delirs lindern, aber nicht heilen. Dafür muss die Ursache behoben werden“, erklärt die Expertin. Auch deshalb verfolgt die Fachwelt die Basler Studie mit großem Interesse.
Was genau wird in der Basler Bier-Studie gemacht und warum?
„Die Studie konzentriert sich auf Menschen, die regelmäßig kleine Mengen Alkohol trinken – zum Beispiel ein Glas Wein oder Bier am Abend“, erklärt Halzl-Yürek. Die Basler Forschenden vermuten, dass die Patienten durch die plötzliche Abstinenz anfälliger für ein Delir sind.
Die Studie vergleicht drei Gruppen: Die eine erhält sechs Tage lang abends Bier über eine Magensonde, die andere Wasser, die dritte bekommt keine zusätzliche Flüssigkeit. Doch der Ansatz ist umstritten. „Die Regeln zur Delirprophylaxe enthalten viele begründete Maßnahmen, die in der Studie nicht vollständig umgesetzt wurden“, sagt Halzl-Yürek.
Wie kann man einem Delir richtig vorbeugen?
„Die wirksamsten Maßnahmen sind nicht-medikamentöser Natur“, sagt die Expertin. Besonders groß ist die Palette der Maßnahmen, wenn ein sogenannter elektiver Eingriff ansteht, es sich also nicht um eine Notoperation handelt und genug Zeit ist. „Eine Operation ist wie ein Marathon – man muss sich gut darauf vorbereiten. Das wird oft unterschätzt, weil die Medizin heute so gut ist und auch schwer kranke und sehr alte Menschen behandeln kann.“
Darauf sollte man zum Beispiel im Vorfeld achten:
Screening: Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Risiko für ein Delir anhand der Vorerkrankungen und Medikamente identifizierenRisiko abschätzen: Risikofaktoren wie Blutarmut oder Verschiebungen im Elektrolythaushalt behandelnVorerkrankungen behandeln: einen schlecht eingestellten Blutdruck oder Zuckerhaushalt optimierenMedikation überprüfen: Wirkstoffe, die ein Delir begünstigen, vor dem Eingriff umstellen oder, wenn vertretbar, pausierenReserven mobilisieren: Körperliche Belastbarkeit durch ein zwei- bis dreiwöchiges Atem- und Krafttraining verbessern
Was tun nach der Operation und bei erhöhtem Risiko?
Nutzt man alle nicht-pharmakologischen Präventionsmaßnahmen, lassen sich bis zu 30 Prozent der Delirfälle in den Kliniken verhindern, sagt Halzl-Yürek. „Die wichtigste Maßnahme ist, das Delir regelmäßig, täglich und konsequent zu messen, um es nicht zu übersehen.“ Geschultes Pflegepersonal sollte daher mindestens einmal pro Schicht – also alle acht Stunden – Risikopatientinnen und -patienten gezielt screenen.
Weitere sinnvolle Maßnahmen sind:
Geistige Stimulation: täglicher Kontakt mit vertrauten Personen (Angehörigen), geistige Anregung durch Literatur, Medien, SpieleFremdmaterial (Katheter etc.): bei fehlender Indikation frühzeitig entfernen, um Infektionen zu vermeidenSchmerz- und Angstfreiheit: „Wir fragen nach, ob es etwas gibt, was den Patientinnen und Patienten Angst oder Sorge bereitet. Denn bei Schmerzen und Stress steigt das Delirrisiko“, so Halzl-Yürek
Was sagt die Expertin zur Bier-Studie?
„Grundsätzlich ist es spannend, neue Ansätze zu erforschen“, findet Halzl-Yürek. „Aber ich hätte erwartet, dass man zunächst alle bewährten Leitlinienempfehlungen ganzheitlich umsetzt – und dann zusätzlich die Wirkung von Alkohol testet. So wie die Studie angelegt ist, kommen evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen zu kurz.“
Fazit: Bier oder doch lieber Leitlinie?
Die Basler Studie sorgt für Diskussionen. Auch wenn sie eine Wissenslücke schließen könnte, bleibt die Frage, ob Bier wirklich das beste Mittel ist. Studien zeigen jedenfalls, dass der Ansatz überholt ist und auch Expertin Halzl-Yürek ist skeptisch: „Ich bezweifle sehr stark, dass man einen Effekt sehen wird.“ Ob das Weizenbier tatsächlich wirkt, werden die Ergebnisse zeigen – die gibt es frühestens 2027.