Analyse: Absurder Netflix-Film „Delicious“ begeistert – das sagt viel über uns aus

Der deutsche Thriller „Delicious“ ist schon kurz nach seinem Start ein weltweiter Netflix-Hit. Dafür gibt es eine einfache Erklärung.

Es scheint so, als wären die Zutaten für einen erfolgreichen Film momentan so simpel wie ein Fertiggericht: Man nehme ein paar reiche Schnösel, denen Schlechtes widerfährt, und garniere es mit bitterböser Gesellschaftssatire. Nach dem Rezept „Eat the Rich“ haben sich zahlreiche Filmhits der vergangenen Jahre, wie etwa „Parasite“, „Saltburn“ oder „Triangle of Sadness“ als wahres Festmahl für die Zuschauer entpuppt. Auch die beliebte Serie „White Lotus“, die von Luxusurlaubern und ihren Abgründen handelt, passt perfekt ins Menü. Jetzt legt Netflix mit einem deutschen Film nach: „Delicious.“

Statt Reichen beim Geldverprassen zuzuschauen, wie etwa den „Geissens“ auf RTL 2, scheinen Zuschauer immer mehr Gefallen daran zu finden, sie leiden zu sehen. Aber warum? Ist es bloße Schadenfreude oder steckt mehr dahinter?

„Delicious“ beginnt zunächst vielversprechend. Eine junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen gibt vor, von einer reichen Familie angefahren und verletzt worden zu sein – mit dem Ziel, sich in deren Anwesen einzuschleichen. Der Plan geht auf. Sie heuert als Dienstmädchen an, und das Ehepaar nimmt sie vor lauter schlechtem Gewissen auf. Geschickt freundet sich die junge Frau nach und nach mit jedem Familienmitglied an, indem sie deren Sehnsüchte zu verstehen und für sich zu nutzen beginnt. Schnell ist sie mehr als nur eine Angestellte, sie wird zum Teil der Familie. 

Und dann wird’s seltsam. Erfolgreich verkuppelt die vermeintlich geschädigte Teodora die Hauptdarstellerin Esther (Valerie Pachner) mit einem ihrer Freunde. Diese hintergeht schließlich nicht nur ihren Ehemann John (Fahri Yardım), sondern brennt auch für eine Weile mit dem neuen Lover durch. Bis die Beziehung ein tragisches Ende nimmt. Auf einer Party strömt Esther Blut aus dem Wasserhahn entgegen. Als sie die Tür zu einem Raum öffnet, sieht sie, wie Menschen einen anderen verspeisen. Schließlich wird auch ihr selbst in den Hals gebissen. Das Motto von „Eat the Rich“ wird hier wörtlich genommen – und die Zuschauer lieben das nicht ohne Grund.

Erfolgsfilm „Delicious“: „Neid und Schadenfreude spielen eine Rolle“

„Neid, Schadenfreude, Rebellion und Aufbegehren gegen größer werdende Ungleichheit spielen eine Rolle“, sagt Filmwissenschaftler Joachim Schätz von der Universität Wien am Telefon. „Zuschauer können symbolisch Rache nehmen an Figuren, die sie unsympathisch finden dürfen in Zeiten, in denen Klassendebatten wieder wichtiger werden.“ Auch der Wunsch, an einer für viele verschlossenen Welt teilzuhaben, sei groß – und der werde beim Zuschauen zumindest visuell ermöglicht. „Es ist eine Art Ersatzhandlung dafür, selbst kein glamouröses Leben zu führen. Aus den gleichen Gründen schauen sich Menschen gerne luxuriöse Anwesen an, in denen sie selbst niemals wohnen können. Ich nenne das Immobilienpornografie.“

Filme wie „Delicious“ stellten auch grundsätzliche Fragen, erklärt Schätz, wie etwa: Wie offen und geschlossen sind die Grenzen unseres Lebens gegenüber Eindringlingen, wie es in diesem Fall Teodora ist? Wer zählt zur Familie? „Diese Fragen beschäftigen Menschen seit Jahrzehnten. Schon in Sigmund Freuds Werken fanden sich Hinweise darauf, dass Diener eine große Rolle für das Familienzusammenleben spielen, und Geschichten über Reiche fesseln Menschen seit den Zwanzigern.“

So neu ist das alles also nicht, nur: Kann der Niedergang wohlhabender Menschen nicht mehr mit Witz und weniger plump erzählt werden? Der Thriller „Delicious“, der realistisch und interessant beginnt, rutscht spätestens mit dem ersten Bissen Menschenfleisch ins Absurde ab. Schon klar, das soll eine Thriller-Satire sein, ist aber am Ende vor allem eines: extrem merkwürdig. 

Solange Reiche am Ende sterben, aufgegessen oder zumindest gedemütigt werden, scheint jede noch so abstruse Geschichte auf riesiges Interesse zu stoßen. „Delicious“ streamten gleich zu Beginn 5,6 Millionen Menschen. Laut der Seite „Flix Patrol“ führt der Film sogar weltweit die Netflix-Charts an. „Eat the Rich“ funktioniert – im wahrsten Sinne des Wortes.