Eurovision Song Contest: Raabs schwierige ESC-Auswahl: „Zu viele gute Leute“

Stefan Raab will, dass Deutschland im Mai beim ESC den Sieg holt. Im Halbfinale bekommen die Juroren tadellose Auftritte zu sehen – doch für sie zählt längst mehr als nur das musikalische Talent.

Nur der Sieg zählt: Im deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest haben Stefan Raab und sein Jury-Team die letzten neun Teilnehmer ausgewählt, von denen einem im Mai in Basel der große Wurf gelingen soll. Insgesamt 14 Kandidaten kämpften dafür im Halbfinale von „Chefsache ESC 2025“ (RTL, ARD) um die begehrten Finaltickets – und machten Raab & Co. mit fehlerlosen Auftritten und facettenreichen Songs das Leben schwer.

Dass alle der verbliebenden Künstlerinnen und Künstler ein großes Talent mitbrachten, stand im Halbfinale außer Frage. Auch mit ihren eigenen Songs, die sie am Samstagabend erstmals präsentierten und als ESC-Beitrag infrage kommen, heimsten sie von der Jury vor allem Lob ein. Doch sicher alle Töne zu treffen, war für die Juroren längst nicht mehr das wichtigste Kriterium. „Wir haben am Ende überlegt: Wer hat die beste Chance?“, sagte Raab. Für ihn ist klar: Wer für Deutschland nach Basel fahren soll, muss es drauf haben, den Geschmack der Zuschauer in ganz Europa zu treffen.

Jury rätselt: Braucht der ESC rockende Ritter?

Die Suche nach den richtigen Zutaten wird schon beim ersten Auftritt des Abends zur Herausforderung. Die Mittelalter-Rockband Feuerschwanz sind der wohl exotischste Teilnehmer im Wettbewerb, die mit „Knightclub“ einen Song über wild feiernde Ritter im Nachtleben auf die Bühne brachten. Mit Funken streuenden Gitarren und Rüstungen als Kostüm lieferten sie ein Spektakel ab, wie auch Raab zugab. Doch ist das auch etwas für Basel? Jurorin Yvonne Catterfeld war sich nicht so sicher: „Ist es zu verrückt? Oder ist es genau, was der ESC braucht?“ Die Abwägung fiel am Ende zugunsten der Nürnberger aus, sie sind im Finale mit dabei.

Schon beim vierten Auftritt des Abends wurde den Juroren klar, wie schwierig ihnen die Entscheidungen später fallen würden. Die Alternative-Pop-Band COSBY holte sich eines der begehrten Finaltickets. Ihr Song „I’m Still Here“, über den verstorbenen Vater der Sängerin Marie Kobylka, rührte selbst Catterfeld zu Tränen. Auch Raab zeigte sich überzeugt: „Zu viele gute Leute hier heute. Normalerweise können wir drei Jahre ESC machen, mit dem, was hier noch kommt.“

Raab: Songs müssen im Kopf hängen bleiben

Die hohe Messlatte von Raab & Co. wird im Halbfinale etwa beim Pop-Soul-Sänger JALN deutlich. Mit dem Song „Weg von dir“, einer Art Abrechnung mit einer vergangenen Liebe, liefert der 23-jährige Kölner zwar einen tadellosen Auftritt ab und trifft selbst die höchsten Töne. Musik und Gesang waren „völlig okay“, urteilte Raab – doch im Kopf würde der Song nicht wirklich hängen bleiben. „Ich habe nicht so den Zugang bekommen“, fand auch Gastjuror Max Giesinger.

JALN verpasst das Finale genauso wie die Nu-Metal-Band From Fall To Spring. Dabei zeigte sich die Jury nach dem Auftritt der Saarländer noch ziemlich überzeugt. „Unglaublich tight“ nannte Raab die Band, die nach der Vorrunde sogar schon die Einladung zum großen Wacken-Festival erhalten habe. Doch man „müsste sich Gedanken darüber machen, ob das beim ESC sein Publikum findet“, sagte Raab. Als warnendes Beispiel führte er etwa die Rockband Lord of the Lost auf, mit der Deutschland beim ESC 2023 mal etwas anderes versuchte – und prompt den letzten Platz belegte.

„Ausgefuchstes Punktesystem“ hilft Raab beim Entscheiden

Wie ernst der ESC-Experte Raab – seit 1998 war er schon an sechs Beiträgen beteiligt, performte unter anderem selbst und trug 2010 zu Lenas Sieg bei – seinen Job nimmt, ist ihm durchaus anzusehen. Sein Feedback nach den Auftritten ist nüchtern und detailliert, zu Scherzen lässt sich der eigentliche Sprücheklopfer vergleichsweise selten hinreißen. Während der Auftritte kritzelt Raab fleißig in ein Notizbuch, und schreibt manchmal auch weiter, wenn Moderatorin Barbara Schöneberger nach seiner Meinung fragt. In den Notizen führt er ein „ausgefuchstes Punktesystem“, erklärte Raab, in dem sechs Teilnehmer das Finale nach ihren Auftritten schon sicher gehabt hätten.

Welche sechs genau dazugehörten, verriet der Chefjuror nicht. Doch einige, wie dem in Berlin lebenden britischen Sänger Moss Kena, dürften die nächste Runde schnell in der Tasche gehabt haben. „Es ist schon fast zu gut für den ESC. Das war sensationell“, lobte Juror Elton nach dem Auftritt des Pop-Sängers. Der Rest der Jury schloss sich an. Das Pop-Rap-Duo Abor & Tynna profitierte besonders vom Zielgruppen-Denken der Jury. Das durch schnelle Beats gekennzeichnete Lied „Baller“ sei laut Raab „der jüngste Song“ im Wettbewerb – und würde „gerade in der Generation Tiktok“ total abgehen, beschrieb es Giesinger.

Liveshow braucht mehr Zeit als geplant

Bis die Juroren und Raabs Punktesystem neun überglückliche Kandidaten ins Finale schickten, hatte die Liveshow den zeitlichen Rahmen bereits gesprengt. Erst um 23:38, fast 20 Minuten später als im Programm angekündigt, sprach Schöneberger das Schlusswort zum Halbfinale. Es war die letzte Liveshow, die Raabs neuer Heimatsender RTL in Kooperation mit dem NDR ausstrahlte.

Das große Finale steigt am kommenden Samstagabend (20.15 Uhr) im Ersten. Fünf der Halbfinalisten sind dann nicht mehr dabei – eine Entscheidung gegen sie sei das jedoch nicht gewesen, betonte Raab. „Wir schmeißen niemanden raus. Wir lassen nur Leute weiter.“