Analyse: Die Premier League schnappt sich Woltemade. Und die Bayern können nur zuschauen

Nick Woltemade wechselt wohl nach Newcastle. Das ist peinlich für Bayern München und eine Warnung für die Bundesliga. Denn Geld spielt in England immer weniger eine Rolle.

Wer dachte, ein verschossener Elfmeter des Strafstoß-Königs Harry Kane im DFB-Pokal gegen Wiesbaden sei das größte Unglück, das dem FC Bayern München in dieser Woche geschehen würde, der bekam am frühen Donnerstagabend den Beweis, dass es noch schlimmer geht. 

Dann nämlich trudelte via „Bild“ und „Kicker“ die Meldung ein, dass Nick Woltemade, Wunschspieler des FCB und Sinnbild für die verkorkste Transferphase der Münchner, von Stuttgart nicht in die bayerische Landeshauptstadt wechseln wird, sondern nach England. Nach Newcastle genauer gesagt. Bestätigt ist das zwar noch nicht, die übereinstimmenden Medienberichte sind aber so übereinstimmend, dass es wohl so kommen wird.

Das ist zum Ersten bitter und peinlich für die Münchner, zum Zweiten demonstriert der Wechsel aber auch die unfassbare Marktmacht, die englische Vereine derzeit mit sich bringen. In der Transfergeschichte um Woltemade steckt nämlich mehr Substanz als in gewöhnlichen Deals des Fußball-Kosmos.

Das unwürdige Gebaren der Münchner, die öffentlichkeitswirksam um den Spieler buhlten und so gegen eine eiserne Regel der Branche verstießen, ist dabei nur ein Aspekt. Ein anderer ist – natürlich – das liebe Geld. Der VfB Stuttgart, bei dem Woltemade offiziell noch unter Vertrag steht, wollte laut diverser Quellen um die 80 Millionen für den 23-jährigen Angreifer haben. Das kam nicht nur dem Münchner Sportvorstand Max Eberl komisch vor. Eberl sah sich sogar genötigt, eine versammelte Reporterrunde zu fragen, ob Woltemade wirklich so viel wert sei. Seine sehr öffentliche Frage kann man in der Art und Weise merkwürdig finden. Inhaltlich unangebracht war sie aber nicht.

Nick Woltemade ist (nur) eine Wette auf die Zukunft

Denn die Wahrheit ist: Woltemade hat zwar eine starke Rückrunde in der vergangenen Bundesliga-Saison gespielt und die U21-Europameisterschaft im Juni als Torschützenkönig beendet, aber niemand weiß, wie konstant er auf diesem Level spielen kann. Gleichzeitig gehört er jedoch zu den besten jungen Spielern dieser Nation, Potenzial ist also einiges vorhanden. Zumal es wenige Stürmer gibt, die bei einer Körpergröße von 1,98 Meter technisch so elegant kicken und zudem auch im Spielaufbau große Stärken mit sich bringen. 

Den Bayern war dieses Paket angeblich etwas über 50 Millionen Euro plus diverse Boni wert. Das klingt realistischer für ein Preisschild (das Portal „Transfermarkt“ beziffert Woltemades Marktwert gar nur auf 30 Millionen). 80 Millionen? Das ist selbst mit dem größten Wohlwollen sehr optimistisch kalkuliert – wenn Geld eine Rolle spielt.

In Newcastle tut es das ganz offensichtlich nicht, angeblich überweist der Klub nun bis zu 90 Millionen nach Stuttgart. Vor wenigen Jahren ist Saudi-Arabien beim englischen Erstligisten als Geldgeber eingestiegen. Die sportliche Entwicklung zeigte in der Folge steil nach oben. So weit nach oben, dass Ex-Nationalspieler Toni Kroos kürzlich in seinem Podcast scherzhaft ankündigte, Mitglied bei Newcastle United werden zu wollen. So begeistert war er von der aufopferungsvollen Leistung des Teams gegen den FC Liverpool (verloren hat Newcastle trotzdem).

Dass dieses Team quasi im Vorbeilaufen eines der größten Talente des deutschen Fußballs verpflichtet, mag von der wirtschaftlichen und fußballerischen Seite wenig überraschend sein. Nach Deutschland in die Bundesliga – und insbesondere nach München – sendet der Transfer abermals ein fatales Signal. Nämlich, dass den hiesigen Vereinen die Argumente ausgehen, um starke Spieler halten zu können. Die Premier League wird immer dominanter, nichts scheint dem etwas entgegensetzen zu können. 

Das ist zwar keine neue Erkenntnis. Noch nie zeigte es sich aber so frappierend wie in dieser Transferphase. Und an keinem anderen Klub wurde es deutlicher als am FC Bayern München. Prominentestes Beispiel ist Florian Wirtz. Der ging von Leverkusen lieber zu Liverpool und nicht nach München.

Bayern München hat noch immer Lücken im Kader

Und so blieb den Bayern nichts Anderes übrig, als sich für viel Geld Luis Diaz zu kaufen, der in den ersten Partien zwar überzeugte, aber noch langfristig beweisen muss, dass er die Transfersumme von angeblich rund 70 Millionen Euro wert ist. Weitere offene Baustellen im Kader gibt es noch immer. Auch Borussia Dortmund hat noch keine nennenswerten Transfers getätigt, um ihr Team zu verbessern. 

Noch spielen die Topklubs der Bundesliga eine Rolle im internationalen Geschäft. Sie müssen sich aber etwas einfallen lassen, um nicht den Anschluss (noch weiter) zu verlieren. Zum Beispiel wieder mehr auf eigene Talente zu setzen. In der Kategorie haben vor allem die Münchner noch Nachholbedarf. Und wer weiß, vielleicht sind sie eines Tages diejenigen, die den Preis für ein Toptalent diktieren. Und nicht andersherum.