Selbständig handelnde KI-Systeme sind im Kommen. Braucht es dann noch Mitarbeiter? Ja, glaubt KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou – manche Jobprofile seien aber massiv bedroht.
Frau Ait Si Abbou, übernehmen jetzt die KI-Agenten?
Zumindest kommen solche Systeme mehr und mehr auf – also agentische KI, die Daten nicht nur analysiert, sondern daraus Entscheidungen ableitet und Prozesse selbstständig auslöst. Das ist eine neue Qualität, das geht weit über reine Prozessautomatisierung oder normale Chatbots hinaus. Um ordentlich eingesetzt werden zu können, brauchen die Agenten aber auch Zugriff auf Systeme, es braucht eine IT-Integration, ein Berechtigungskonzept und ein etabliertes Identity-Management, das für technische Nutzer geeignet ist. Und KI-Agenten sind für bestimmte konkrete Aufgaben geeignet, der Mensch hat in der Regel jedoch viele verschiedene Aufgaben.
Das heißt?
Das heißt, die menschlichen Aktivitäten werden vermutlich abnehmen, die maschinellen Aktivitäten werden mehr werden. Und trotzdem wird es immer Aufgaben geben, wo es sich mehr lohnt, dass der Mensch sie übernimmt – auch weil Roboter beziehungsweise Automatisierung nicht zwangsläufig wirtschaftlicher ist.
Haben Sie ein Beispiel?
Bei einem Unternehmen haben wir zum Beispiel mal Roboter getestet, die die Paletten im Lager bewegen sollten. Damit das funktioniert, müssen die Wege super klar sein, die richtige Breite haben, Boden und Regalsystem müssen einfach ein paar Voraussetzungen erfüllen. Oft sind solche Investitionen gerade in bestehenden Umgebungen nicht rentabel. Ähnliche Situationen hat man auch bei Software-Lösungen. Wenn erst einmal in so viel neue Infrastruktur investiert werden muss, dass die Automatisierung funktioniert, dann ist der Business Case negativ.
Ist das nicht sehr kurzfristig gedacht?
Das hängt vom Anwendungsfall und von der vertraglichen Situation mit dem Kunden ab. Je nachdem muss man sich die Frage stellen: Ist das eine Investition, die ich nur für diesen einen Kunden tätige? Oder ist das eine Investition in meine Zukunftsfähigkeit? Beim ersten Fall muss der Business Case stimmen und zwar im besten Fall innerhalb der Vertragslaufzeit, also eher kurzfristig. Im zweiten Fall handelt es sich um eine strategische Investition, die andere Kennzahlen erfüllen sollte. Da braucht der Return on Invest in der Regel etwas länger.
Bewegt sich die deutsche Wirtschaft schnell genug?
In vielen Unternehmen gibt es unzählige Proof of Concepts, es wird hier und da mit KI experimentiert. Aber Use Cases, die richtig in die Prozesse integriert sind, die skalieren und so einen richtigen Hebel bedeuten können, die sind extrem rar. Darum geht es nämlich: Welche Lösungen funktionieren in einem großen Konzern für 200.000 Mitarbeiter – und nicht nur für die zwei Handvoll pfiffigen Leute aus dem KI-Lab? Und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Skalierung überhaupt möglich ist?
Heißt das, bis Menschen um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen, wird es noch lange dauern?
Nicht unbedingt. Bei Entwicklern sehen wir bereits den Trend aus den USA, dass man zunehmend auf Junior-Developer verzichtet – die Code-Generatoren sind so gut geworden, dass man angeblich fast keine Juniors fürs Programmieren mehr braucht – man muss dann nur noch den KI-Code validieren. Mir hat kürzlich ein Tech-Gründer erzählt, dass er sich auch überlegt, wie viele Juniors er einstellen soll, jetzt wo die KI die einfachen Aufgaben so gut erledigen kann. Und statt Zeit in disziplinarische Führung zu investieren, validiert er lieber, was die KI ausspuckt.
Nur: Woher haben wir dann in Zukunft die Seniors, wenn wir keine Juniors mehr ausbilden?
Das ist genau der Punkt: Wie sieht es dann in fünf oder zehn Jahren aus? Oder in 20 Jahren, wenn die Experten in Rente gehen oder nicht mehr arbeiten wollen? Wo kriegen wir die Expertise her? Die brauchen wir weiter, wir sind nämlich noch nicht so weit, dass wir uns komplett auf die KI verlassen könnten. Und vor allem, dass wir die Verantwortung an die KI übergeben können. Solange die Verantwortung bei uns liegt, müssen wir heute in Nachwuchs investieren.