Augenkosmetik: Schön, aber gefährlich: Wimpernverlängerung, Lidstrich-Tattoos & Co

Wimpernverlängerung lässt die Augen erstrahlen, mit Lidstrich-Tattoos wacht man morgens geschminkt auf. Doch Augenärzte warnen vor dauerhaften Schäden und Wimpern-Ausfall.

Frau Messmer, Sie sind Hornhautspezialistin und stehen viel im OP. Wie haben Sie entdeckt, welche gefährlichen Folgen scheinbar harmlose augenkosmetische Eingriffe wie Wimpernverlängerung haben können?
Ich betreue viele Patienten mit trockenem Auge, bei dem die Lidränder und die Augenoberfläche angegriffen sein können. Und ich sehe immer häufiger Frauen mit einer ausgeprägten Lidrandentzündung, nachdem sie sich ein Permanent Make-up, also einen Lidstrich, haben tätowieren lassen. Zudem ist mir aufgefallen, dass sich nach künstlichen Wimpernverlängerungen häufig ein schuppiges Gemisch aus abgeschilferten Hautzellen und altem Drüsenschleim an der Wimpernbasis anlagert. Dieser sogenannte „Debris“ ist ein idealer Hort für Krankheitserreger. So wurde ich darauf aufmerksam, dass möglicherweise ein Zusammenhang besteht zwischen bestimmten augenkosmetischen Maßnahmen und den Problemen, mit denen die Patienten zu uns kommen.

Es ist erstaunlich, dass man dazu bisher kaum Informationen im Netz findet. Auch die Verbraucherzentralen haben das Thema noch nicht entdeckt …
Aber in der Fachliteratur sind die Gefahren längst beschrieben worden, man muss nur ein bisschen suchen. Da wurde ich schnell fündig.

Unter anderem deshalb hat jetzt Ihre Fachgesellschaft, die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, eine offizielle Warnung herausgegeben. Fangen wir mal mit Wimpernverlängerungen an. Wie häufig treten da gesundheitliche Probleme auf?
In Deutschland tappen wir leider im Dunkeln, es gibt keine Daten. Die interessanteste Studie, die ich finden konnte, stammt aus Ghana: Von 120 Frauen, die diesen Eingriff mindestens einmal gemacht haben, um auf Hochzeiten, Beerdigungen und anderen Festen schöner auszusehen, gaben gut 97 Prozent – also fast alle – gesundheitliche Probleme an: trockene Augen, geschwollene Augenlider, Brennen oder tränende Augen zum Beispiel …

Das wären aber sehr viele Fälle von gesundheitlichen Problemen.
Wie gesagt, für Deutschland fehlen Daten, und es handelt sich ja auch nur um eine Umfrage. Da die meisten Symptome vorübergehend sind, gehen wir davon aus, dass sich nur ein Bruchteil der Betroffenen in Augenarztpraxen oder Augenkliniken vorstellt.

Dann wahrscheinlich mit gravierenderen Symptomen. Welche sind das zum Beispiel? 
Bleiben wir erst einmal bei der Wimpernverlängerung. Wir sehen vor allem akute Probleme durch den verwendeten Klebstoff. Der enthält den Aushärter Cyanacrylat und andere ungesunde Substanzen, die zu massiven allergischen Reaktionen führen können. Wir sehen auch chronische Entzündungen im Bereich des Lidrandes, die erst mit der Zeit entstehen. Wir sehen Infektionen im Bereich des Lidrands, weil sich hinter diesen künstlichen Wimpern oft Nester von Bakterien und Milben ansammeln.

Bisher sprechen wir von der Wimpernverlängerung im Kosmetikstudio, wo zu Preisen von oft mehr als 100 Euro Wimpernhaar für Wimpernhaar einzeln angeklebt wird. Falsche Wimpern kann man sich aber auch im Drogeriemarkt für Preise ab drei Euro besorgen, Klebstoff inklusive. Ist das weniger gefährlich?
Nein. Der Klebstoff unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, den die Kosmetikerinnen benutzen. Und was noch dazukommt: Wenn man sich die Wimpern selbst vor dem Spiegel anklebt, kann er leichter ins Auge gelangen und die Hornhaut verletzen. Zudem kann man sich die Wimpern verkleben. Und wir wissen, dass verhärtete Kleberreste ebenfalls zu oberflächlichen Verletzungen an der Hornhaut führen können. Ein weiteres Problem ist das Entfernen dieser Wimpern.

Falsche Wimpern aus dem Drogeriemarkt: Der knappe Warnhinweis verschweigt die konkreten Risiken und Nebenwirkungen.
© Bernhard Albrecht

Was passiert da?
Dazu werden sehr toxische Lösungsmittel verwendet. Und es ist wohl nicht so einfach, diese Wimpern wieder zu entfernen. Dabei werden oft eigene Wimpern mit herausgerissen. Teilweise kann durch dieses ständige Kleben und Entfernen auch die Wurzel der Wimpernhaare so geschädigt werden, dass eigene Wimpern nicht mehr nachwachsen.

Kann man das Risiko minimieren, indem man Wimpernverlängerungen nur von gut ausgebildeten medizinischen Kosmetikerinnen durchführen lässt?
Auch wenn die Prozedur perfekt durchgeführt wird, kann man bestimmte Komplikationen nicht vermeiden. Allergien und Entzündungen durch die Klebstoffe zum Beispiel oder herausfallende Wimpern, die auf der Hornhaut scheuern und Hornhautschäden verursachen. Aber das Potenzial für Komplikationen ist natürlich deutlich geringer.

Aber die Frage ist ja: Woher weiß man, ob es sich wirklich um eine ausgebildete Kosmetikerin handelt? Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt, jeder kann sich so nennen und ein Studio aufmachen.
Das ist eine schwierige Frage. Hilfreich für die Suche ist sicher, wenn schon im Internet entsprechende Zertifikate hinterlegt sind, die darauf schließen lassen, dass jemand eine ordentliche Ausbildung durchlaufen und langjährige Berufserfahrung hat.

Vor Lidstrich-Tattoos warnen Sie und Ihre Fachgesellschaft auch … 
Da gibt es Unterschiede zur Wimpernverlängerung. Lidstrich-Tattoos werden nicht von Kosmetikerinnen gestochen, sondern von Tätowierern oder Tätowiererinnen. Das ist kein Ausbildungsberuf. Die unterliegen nur bestimmten Hygienevorschriften. Und wir wissen, dass diejenigen, die Lidstrich-Tattoos anbieten, oft nur einen eintägigen Kurs besucht und dafür ein Zertifikat bekommen haben.

Welche gesundheitlichen Probleme können auftreten?
Akute Probleme sind eher selten. Vorübergehend schwellen oft die Lider an und sind gerötet, das gibt sich aber schnell. Es kann zu chemischen Verätzungen kommen oder auch zu mechanischen Verletzungen, wenn dem Tätowierer die Nadel auskommt und er versehentlich die Bindehaut tätowiert. Das ist in der Fachliteratur beschrieben, gesehen habe ich es noch nie. Es kann auch zu Infektionen kommen, weil nicht immer sterile Nadeln verwendet werden. Es sind Fälle belegt, in denen HIV oder Hepatitis übertragen wurden. Das Hauptproblem für uns Augenärzte aber ist die Tätowiertinte, weil die sehr giftig sein kann. Sie enthält Farbpigmente, deren Wirkung auf den Organismus noch weitgehend unerforscht ist, und kann toxische Stoffe wie Cadmium, Chrom, Kobalt, Nickel und Arsen enthalten. Diese Pigmente werden beim Tätowieren direkt am Lidrand deponiert und wandern mit der Zeit in die Tiefe.

Moment, gibt es da nicht eine neue EU-Regelung, wonach viele Stoffe verboten sind?
Die gibt es seit 2022, ja. Aber die genannten toxischen Substanzen dürfen weiterhin drin sein, jetzt nur in geringeren, „reglementierten“ Dosen. 

Und was kann diese Tätowiertinte nun in der Tiefe des Gewebes anrichten?
Auch wenn ein Tattoo perfekt gestochen wurde, schädigen die Tinte und die Abwehrreaktion des Körpers mittelfristig tieferliegende Strukturen wie zum Beispiel die Meibom-Drüsen. Das sind kleine Talgdrüsen, die den Fettfilm des Tränenfilms herstellen. Es gibt eine gute Studie, die Frauen mit und ohne Lidstrich-Tattoos verglichen hat. Bei den Tätowierten war der Fettfilm auf den Augen von schlechterer Qualität, und die  Augenoberfläche war häufiger geschädigt. Lidstrich-Tattoos führen daher im Verlauf häufig zu trockenem Auge. 

Den Trend zu Wimpernverlängerung und anderen kosmetischen Maßnahmen werden Sie mit Ihrem Engagement nicht stoppen können. Was schlagen Sie vor?
Ich glaube, Aufklärung ist das Wichtigste. Denn die überwiegend jungen Mädchen und Frauen wissen ja oft gar nicht, auf was sie sich einlassen. Als Fachgesellschaft können wir dazu beitragen, aber wir erreichen diese Klientel ja gar nicht. Wünschenswert wäre, dass auch Kosmetikerinnen und Tätowierer verpflichtet werden, über Risiken und Komplikationen ihrer Eingriffe aufzuklären. So wie wir Ärzte das vor jeder Operation machen müssen. Eine gesetzliche Regulierung wäre hier wünschenswert.