Der Tyrannosaurus rex gilt als gnadenloser Räuber. Doch viele Mythen über ihn sind falsch. Wir zeigen die fünf größten Irrtümer über den berühmtesten Dinosaurier aller Zeiten.
Gefletschte Zähne, durchdringendes Brüllen, blutrünstige Verfolgungsjagden: Wer an den berüchtigtsten aller Dinosaurier denkt, hat ein ziemlich genaues Bild vor Augen. Schließlich gibt es Tausende Darstellungen und Dutzende Hollywoodfilme, die den Tyrannosaurus rex, den „König der Schreckens-Echsen“ in Aktion zeigen.
Doch stimmt das alles auch so? Immer wieder entdecken Forschende Neues zu den faszinierenden Tieren, die vor 68 bis 66 Millionen Jahren auf der Erde unterwegs waren. Sie graben versteinerte Knochen aus, untersuchen sie mit immer moderneren Methoden und fragen sich: War T-Rex womöglich ganz anders, als wir lange dachten? Vielleicht sogar – harmlos?
Der T-Rex hat über 300 Knochen
© W6
Dem Dinoforscher Raimund Albersdörfer, 58 Jahre alt, rutscht auf diese Frage ein Lachen heraus: „Nein, der T-Rex war kein liebes Kerlchen. Aber er sah vielleicht weniger monsterhaft aus als in Filmen.“ Albersdörfer leitet das Tyrannosaurus-rex-Zentrum im Dinosaurier Museum Altmühltal im bayerischen Denkendorf. Außerdem erforscht er als Paläontologe die Spuren der Vergangenheit. Dutzende Dinosaurier-Skelette hat er schon aus dem Boden ausgegraben, bearbeitet und untersucht. „Weil die Tyrannosaurier seit 66 Millionen Jahren ausgestorben sind, haben wir nur Knochen zur Verfügung. Daraus ziehen wir unsere Schlüsse“, erklärt er. So schauen Raimund Albersdörfer und sein Team genau die Zusammensetzung der Knochen an, berechnen aus der Schrittlänge versteinerter Spuren, wie sich die Tiere bewegt haben könnten, oder erkennen am Mageninhalt, was die Saurier gefressen haben.
„Hundertprozentige Beweise gibt es nicht“, sagt der Experte über das, was wir über das Aussehen und das Verhalten von T-Rex annehmen. „Aber es gibt auf der ganzen Welt Hunderte Forscherinnen und Forscher, die jeden Tag daran arbeiten, mehr über diese Dinos herauszufinden.“
Mit folgenden Irrtümern zu den Schreckens-Echsen können Paläontologinnen und Paläontologen inzwischen aufräumen:
Irrtum 1: Das Tempo
Jahrelang glaubten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass T-Rex ein Sprinter war, der seine Beute mit hoher Geschwindigkeit verfolgte, bevor er sie erlegte. Etwa 50 bis 60 Kilometer pro Stunde soll er gerannt sein, schneller als ein Auto in der Stadt. Falsch! Er war wohl höchstens im Fahrradtempo unterwegs, also mit etwa 20 Stundenkilometern.
Warum die Forschenden das glauben? Sie haben in Computermodellen durchgespielt, welche Kräfte auf bestimmte Körperteile des Tieres gewirkt haben müssen. Um seinen neun Tonnen schweren Körper auf Tempo zu bringen, hätte der Saurier riesige Beinmuskeln gebraucht. Die hatte er aber nicht. Außerdem hätte er sich bei jedem Hinfallen die Rippen gebrochen, weil er den Sturz mit den winzigen Vorderbeinen nicht hätte abfangen können.
Irrtum 2: Die Beute
Daraus folgt auch schon der vermutlich zweite Irrtum: Wenn T-Rex kein flinker Jäger war, könnte er vielleicht ein Aasfresser gewesen sein. Dafür spricht, dass er ein recht großes Gehirn hatte, wohl gut riechen und somit tote Tiere aufspüren konnte. Seine enorme Bisskraft (schon ein einziger Backenzahn bohrte sich mit einer Kraft in seine Beute, die einem Gewicht von mehreren Tonnen auf weniger als einem Zentimeter Fläche entsprach) ermöglichte es ihm, Gerippe zu zerlegen und Knochen zu zermahlen.
Es kann aber auch sein, dass die Dinos „Lauerjäger“ waren, sich also an ihre Opfer anschlichen oder sich versteckten und auf sie warteten, um sie zu überraschen. So wurde vor ein paar Jahren ein Knochen eines pflanzenfressenden Dinosauriers gefunden, in dem der Zahn eines T-Rex steckte. Knochenwucherungen um den Zahn herum zeigten den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dass das Opfer diesen Biss noch längere Zeit überlebt hatte. Das heißt: Der T-Rex muss einen lebenden Dino angegriffen haben.
Irrtum 3: Die Zähne
Eine Studie aus dem vergangenen Jahr hat die Größe, Form und Abnutzungsspuren von Zähnen des T-Rex mit denen von Krokodilen verglichen. Das Ergebnis: Tyrannosaurier hatten wahrscheinlich Lippen, die die Zähne weitgehend verdeckten. Denn bei Lebewesen wie Krokodilen, bei denen die Zähne aus dem Maul ragen, nutzt sich der Teil, der herausschaut, stark ab. Ein Grund dafür: der fehlende Speichel. Ohne ihn trocknen Zähne schneller aus, was sie empfindlicher macht. An Tyrannosaurier-Zähnen fanden sich jedoch keine solchen Abnutzungsspuren. Vermutlich schützten also Lippen die Zähne und hielten sie feucht.
Anders als heutige Säugetiere konnten die Raubsaurier die Lippen allerdings nicht zurückziehen und absichtlich die Zähne fletschen. Dazu fehlten ihnen die entsprechenden Muskeln. Das bedeutet, dass fast alle Darstellungen des T-Rex in Büchern und Filmen falsch sind und sein Maul wohl eher so aussah wie das von Eidechsen.
Irrtum 4: Die Haut
Lange glaubten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass Tyrannosaurier einen Schuppenpanzer trugen. Vor etwa 20 Jahren kam dann die Theorie auf, dass die Tiere von einem Federkleid bedeckt waren. Inzwischen herrscht die Meinung vor, dass erwachsene Tiere am Kopf, Hals und Hinterleib Federn trugen, der Rest aber von Schuppen bedeckt war. Tyrannosaurier-Babys waren möglicherweise komplett von Flaum umhüllt, wie Küken heute. Beim Heranwachsen verloren sie das weiche Federkleid dann.
Irrtum 5: Die Stimme
Selbst die Töne, die ein T-Rex ausstieß, klangen vermutlich anders als das markerschütternde Brüllen, das man aus Hollywoodfilmen kennt. Darin wurden Töne genutzt, die sich an Geräuschen heutiger Räuber wie Löwen orientieren. Untersuchungen der Stimmorgane und Atemwege der Dinosaurier ergaben jedoch, dass die Tiere vermutlich eher wie Tauben gegurrt oder wie große Vögel geschrien haben. Sie könnten aber auch wie Orgelpfeifen geklungen haben.
Auch wenn vieles nicht stimmt, was jahrzehntelang vermutet wurde: „Der Tyrannosaurus rex ist und bleibt der Superstar unter den Dinos“, sagt Forscher Raimund Albersdörfer. „Jede neue kleinste Erkenntnis fasziniert uns Menschen.“ Und genau deshalb forscht er weiter. Gemeinsam mit anderen Expertinnen und Experten setzt er wie bei einem 3-D-Puzzle Hunderte Knochen zu Skeletten zusammen, die dann in anderen Museen ausgestellt werden. „Es ist verrückt, wie viele Tyrannosaurus-Geheimnisse wir dabei nach vielen Millionen Jahren lüften konnten“, sagt er. „Aber alles werden wir wohl nie herausfinden.“