Seit sechs Monaten ist Sebastian Tigges von seiner Partnerin getrennt. Während Hunderte Mütter von ihrer Befreiung erzählen, fragt er sich: War ich nur Ballast?
Seit sechs Monaten sind meine Frau und ich getrennt – und ja, manchmal empfinde ich es als Erlösung. Es ist vieles sehr herausfordernd an diesem Prozess – kräftezehrend, emotional aufwühlend. Die Vorstellung von einem gemeinsamen Leben, dieses Bild einer zusammenlebenden und funktionalen Familie loszulassen, ist nicht leicht. Zeitgleich verspüre ich auch eine Entlastung.
Das liegt nach meiner eigenen Analyse daran, dass wir, zumindest seit ein paar Wochen, weniger streiten, wir weniger Reibungspunkte haben, auch weniger (gemeinsame) Probleme. Und ich habe mehr Zeit für mich, weil wir uns nach wie vor die Sorgearbeit 50:50 teilen, ich aber im Gegensatz zu vorher die Zeit, die ich nicht mit meinen Kindern verbringe, etwas freier gestalten kann. Ich treffe häufiger Freunde, gehe mehr ins Theater, gehe wieder zum Sport.
Ich würde jedoch nicht so weit gehen und sagen, dass mich die Trennung insgesamt entlastet und ich nun ein durch und durch entspannteres Leben führe. Nach wie vor empfinde ich die Erziehung von zwei kleinen Kindern als Herausforderung. Nach wie vor komme ich kaum hinterher im Beruf, der Mental Load ist nicht weniger geworden. Zuvor hatten wir uns den Mental Load weitgehend untereinander aufgeteilt nach Themen. Kinderkleidung, Arzttermine, Wäsche, Kita, Freundschaften etc. – alles Themen, die wir uns untereinander so aufgeteilt haben, dass es sich möglichst fair anfühlt. Seit der Trennung ist es schwammiger geworden, zwei Haushalte bedeutet auch teilweise doppelter Mental Load, logisch.
Hunderte Mütter erzählen von ihrer Befreiung
Viele Mütter, die vom Vater der gemeinsamen Kinder getrennt leben, erleben das anders. Jedenfalls ist das der Eindruck, der sich einstellt, wenn ich die Kommentarspalten meiner jüngsten Videos bei Instagram betrachte. Dort berichten Hunderte Mütter von einer an eine Erlösung grenzenden Erfahrung durch die Trennung von ihrem Partner.
Sie erzählen, dass sie durch Trennung von einem Partner, der während der Beziehung ohnehin überwiegend passiv in Sachen Sorgearbeit war, weniger Mental Load tragen, weniger diskutieren müssen, mehr Freiheiten genießen. Und oftmals schreiben sie, dass der Ex-Partner sich durch die Trennung sogar mehr um die gemeinsamen Kinder kümmere als während der intakten Partnerschaft. Vereinzelt berichten sogar alleinerziehende Mütter, dass sie trotz der immensen Belastung immer noch weniger davon verspüren als vor der Trennung.
Wenn ich das lese und in mich hinein spüre, muss ich gestehen, dass ich die Zeit mit den Kindern stellenweise als herausfordernder empfinde als vor der Trennung. Das liegt möglicherweise daran, dass ich nun in der Zeit mit ihnen vollständig allein verantwortlich bin. Es ist niemand mehr da, der mich mal ablöst, wenn ich nicht mehr kann. So haben wir es gehandhabt, wenn einer von uns über die Maßen erschöpft war, wenn einer krank war, wenn beruflich mal so viel los war, dass man den Nachmittag nach Kitaschluss noch zum Arbeiten benötigt hat: Wir haben uns gegenseitig unterstützt und als Back-Up gedient. Und das handhaben wir zwar heute auch noch so – aber natürlich in abgeschwächter Form. Die Hürde, uns gegenseitig um Unterstützung zu bitten, ist höher.
Die unbequeme Frage: War auch ich nur Ballast?
Manchmal aber, wenn ich die Erzählungen der Mütter bei Instagram lese, denke ich: Warte mal, bedeutet die Tatsache, dass ich manches in Sachen Sorgearbeit als mehr empfinde, im Umkehrschluss etwa, dass Marie, meine Ex-Partnerin, es nun als weniger empfindet, dass sie erleichtert ist? Bin auch ich wie offenbar viele andere Väter Ballast gewesen, ohne den sie jetzt weniger Mental Load, mehr Me-Time hat und mehr Leichtigkeit mit den Kindern verspürt? Ich traue mich, offen gestanden, kaum, sie danach zu fragen. Ich habe Angst, dass die Antwort lauten könnte, dass auch ich als zweiter Elternteil für mehr Be- als Entlastung gesorgt haben könnte.
Und dennoch: Wenn Sie mich nach meiner persönlichen Einschätzung fragen, würde ich antworten, dass die Trennung für uns beide im gleichen Maße zu zusätzlicher Be- und Entlastung geführt hat. Das liegt meines Erachtens daran, dass wir auch in Zeiten der intakten Beziehung eine gleichberechtigte Elternschaft gelebt haben. Und das tun wir nun, nach der Trennung, weiterhin, nur eben getrennt, was für beide Seiten Vor- und Nachteile birgt.
Väter müssen mehr Verantwortung übernehmen
Das Problem ist doch, dass nach wie vor viele Paare keine gleichberechtigte Elternschaft leben – können, wollen oder dürfen. Das liegt sicherlich nicht selten an den Männern, die veralteten Rollenbildern nachhängen. Es liegt aber auch daran, dass wir in Deutschland nach wie vor in einem System verhaftet sind, das es Eltern beinahe unmöglich macht, sich gleichberechtigt aufzuteilen im Hinblick auf Erwerbs- und Sorgearbeit.
Väter müssen mehr Verantwortung übernehmen, wenn sie nicht als Ballast enden wollen, der abgeschüttelt werden muss. Wir Väter müssen aufhören, uns als Unterstützer, als Helfer zu sehen. Wir müssen lernen, dass wir ebenso wie die Mutter unserer Kinder Verantwortung tragen für Mental Load und Co.
Und dennoch sollten wir uns als Gesellschaft vielleicht mal eine Frage stellen: Weshalb trennen sich so viele Eltern junger Kinder? Woran könnte das liegen, abgesehen von passiven Vätern und frustrierten Müttern? Vielleicht finden wir einen Teil der Antwort auf diese Frage auch in den Rahmenbedingungen, die wir als Gesellschaft Eltern und Familien zur Verfügung stellen. Und vielleicht herrscht da dringender Anpassungsbedarf.