Fried – Blick aus Berlin: Da muss er durch: Jens Spahn und die Kaderschmiede fürs Kanzleramt

Jens Spahn will hoch hinaus. Der Vorsitz der Unionsfraktion ist für den CDU-Politiker das beste Sprungbrett. Vier von sechs Kanzlern seiner Partei hatten vorher diesen Posten.

Helmut Kohl war 16 Jahre lang Bundeskanzler. Aber seine knapp sechs Jahre als Chef der Unionsfraktion im Bundestag hat er einmal als „die mit Abstand schwierigsten meines politischen Lebens“ bezeichnet. Es war die Zeit, in der er sich gegen Franz Josef Strauß durchsetzen musste, der in der berühmten Wienerwald-Rede über Kohl gesagt hatte: „Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür.“ Mit „dafür“ meinte Strauß das Kanzleramt.

Für Jens Spahn steckt vielleicht ein bisschen Trost in dieser Reminiszenz. Ja, der Job des Unionsfraktionsvorsitzenden ist hart. Doch auch wenn einem die Weggefährten die charakterlichen Eigenschaften fürs Kanzleramt absprechen – und das tun bei Spahn bis tief in die Union hinein viele –, kann der Weg doch ins Ziel führen. Selbst wenn der Weg dieser Tage sehr weit erscheint.

Warnung für Jens Spahn: Nicht jeder Fraktionschef kam durch

Der Fraktionsvorsitz ist in der Union das beste Sprungbrett nach ganz oben. Nicht jeder der bislang zwölf Chefs seit 1949 wurde Kanzler. Rainer Barzel und Wolfgang Schäuble sind die bekanntesten Gescheiterten. Aber von sechs Kanzlern der CDU führten immerhin vier zunächst die Abgeordneten im Bundestag, neben Kohl, Angela Merkel und Friedrich Merz auch Konrad Adenauer, obgleich nur für 14 Tage.

In der SPD verhält sich das anders. Von ihren vier Kanzlern war nur Helmut Schmidt für zwei Jahre Fraktionschef im Bundestag. Talente wurden in diesem Amt selten geschmiedet. Lieber erkoren die SPD-Kanzler, im Wissen um die Neigung ihrer Leute, Prinzip bisweilen vor Macht zu setzen, mit Herbert Wehner, Peter Struck, Franz Müntefering und auch Rolf Mützenich eher knorrige Typen an die Spitze ihrer Abgeordneten. Auf die konnten sie sich als durchsetzungsfähige Mehrheitsbeschaffer verlassen, ohne höhere Ambitionen fürchten zu müssen. In dieser – und nur in dieser – Hinsicht war auch Volker Kauder, Angela Merkels fast ewiger Fraktionschef von quasi sozialdemokratischer Statur.

Allerdings waren es oft auch die Fraktionsvorsitzenden, die den Kanzlern schwindende Macht vor Augen führten: Herbert Wehner auf die harte Tour, als er während einer Moskau-Reise 1973 despektierlich über Willy Brandt herzog („Der Kanzler badet gern lau – so in einem Schaumbad“); Franz Müntefering etwas sanfter, als er Gerhard Schröder 2005 anvertraute, eine Mehrheit in der SPD-Fraktion nicht mehr garantieren zu können; Volker Kauder, als er 2018 nach 13 Jahren von den eigenen Leuten abgewählt wurde, die damit auch Merkel einen Denkzettel verpassten.

Adenauers Fegefeuer: Antreten in der Fraktion

Abgeordnete sind eine selbstbewusste Spezies. Als Adenauer als Kanzler gefragt wurde, was für ihn das Fegefeuer sei, antwortete er: „Wenn ich in die Fraktion muss.“ Später allerdings pflegte er einen laxeren Umgang mit Aufmüpfigkeiten. Eines Tages maulte ein CDU-Abgeordneter, die Fraktion wolle nicht wie willenloses Stimmvieh behandelt werden. Es war eine Situation, wie sie Friedrich Merz und Jens Spahn jüngst erlebten, als Unionsleute gegen die Wahl der SPD-Kandidatin fürs Verfassungsgericht aufbegehrten.

Als der Abgeordnete zu Adenauers Zeiten schimpfte, er wolle zu den Entscheidungen des Kanzlers nicht bloß Ja und Amen sagen, antwortete Adenauer: „Es genügt, wenn Sie Ja sagen.“ Vielleicht sollten es Merz und Spahn mal so versuchen. Adenauer geht eigentlich immer.