Bündnis Sahra Wagenknecht: Showdown im BSW: Platzt jetzt die Koalition in Thüringen?

Sahra Wagenknecht gegen Katja Wolf: Am Samstag fällt eine Vorentscheidung über die Existenz der Thüringer Brombeer-Koalition – und die Zukunft des BSW. Warum ist das so?

Wenn sich am Samstagvormittag in Gera die bis zu 130 Mitglieder des Thüringer BSW versammeln, geht es um deutlich mehr als den dramatischen Kampf um die Landesparteispitze. Es geht um die Koalition aus CDU, SPD und BSW in Thüringen und darum, ob und wie das BSW nach dem Fehlschlag bei der Bundestagswahl fortbestehen kann. Und es geht, was sonst, um Sahra Wagenknecht.

Der strategische Interessenkonflikt ist derselbe wie vor der thüringischen Koalitionsbildung im vergangenen Herbst. Was hat Priorität? Der Erfolg der populistischen Bundespartei? Oder das Regierungskonstrukt in Thüringen? Für die Vorsitzende Wagenknecht geht die reine Partei- und Machtlehre vor – für Landeschefin Katja Wolf hingegen das CDU-geführte Landeskabinett, dem sie als Vizeministerpräsidentin und Finanzministerin angehört.

Schafft es Wagenknecht am Samstag mit den von ihr unterstützten Gegenkandidaten, Wolf zu stürzen, stünde das BSW in Thüringen mittelfristig vor dem Koalitionsaustritt und der Spaltung. Wehrt Wolf hingegen auch diesen Angriff ab, wäre Wagenknechts Nimbus endgültig beschädigt. So oder so wird sich der Machtkampf fortsetzen.

Die Vorgeschichte des Konfliktes

Dabei hatte alles so hoffnungsfroh begonnen. Als im Januar 2024 die damalige Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf von der Linkspartei zum gerade gegründeten BSW stieß, war Wagenknecht trotz aller schon damals erkennbarer Interessengegensätze begeistert. Ein populärer Politikprofi als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Thüringen: was für ein Geschenk.

Doch je stärker das BSW in den Umfragen wurde, umso deutlicher wurde, dass das BSW in Thüringen – ähnlich wie nach den parallelen Wahlen in Sachsen und Brandenburg – für Regierungsmehrheiten gebraucht werden würde. Schon damals fürchtete Wagenknecht um das radikalpopulistische Profil ihrer Partei und stellte unerfüllbare Bedingungen. So sollten sich CDU und SPD gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen und die Stationierung von US-Raketen in Deutschland verurteilen.

Nach den Wahlerfolgen – in Thüringen kam das BSW mit 15,8 Prozent auf sein bestes Ergebnis – versuchte der Bundesvorstand, die Sondierungen zu erschweren. In Brandenburg gab sich SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke allerdings derart geschmeidig, dass Wagenknecht nichts entgegensetzen konnte. Dafür bestärkte sie in Sachsen erfolgreich das BSW, die Gespräche mit CDU und SPD abzubrechen. Genauso sollte es in Thüringen laufen – doch Wolf und ihr Co-Landeschef Steffen Schütz ignorierten das Veto aus Berlin. Sie wollten regieren.

Und so begann im November der erste Machtkampf. Wolf wurde vom Bundesvorstand auch öffentlich brutal angegriffen. Parallel nahm Berlin an der Landesspitze vorbei etwa 30 neue Mitglieder in Thüringen auf, um die Mehrheiten zugunsten von Wagenknecht zu verschieben. „Gesinnungsakquise“, nannte Schütz dies zuletzt.

Doch wenige Wochen vor dem entscheidenden Landesparteitag platzte die Ampel-Koalition in Berlin. In diesem kritischen Moment fuhr Wolf ins Saarland zu Wagenknecht und unterbreitete ihr einen Formelkompromiss. Die Vorsitzende akzeptierte ihn angesichts des nun unmittelbar bevorstehenden Bundestagswahlkampfes und warb sogar für die Koalition. Die Landesregierung wurde im Dezember gebildet.

Die gezielte Eskalation

Aber der Waffenstillstand hielt nur bis zur Bundestagswahl am 23. Februar. Nachdem das BSW den Parlamentseinzug um etwa 9500 Stimmen verpasst hatte, machte Wagenknecht sofort die thüringische Regierungsbeteiligung dafür mitverantwortlich: Wolf habe gegenüber CDU und SPD zu wenig erreicht.

Die einzige Überlebensstrategie des BSW: Bei den vier Landtagswahlen 2026 soll die Partei mindestens in die Parlamente in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern einziehen. So ließe sich nach dem historischen Vorbild von PDS und AfD bis zur Bundestagswahl 2029 als Ost-Protestpartei weiter wachsen.  

Doch dafür will Wagenknecht wieder einen fundamental-oppositionellen Wahlkampf führen – und zwar ausdrücklich gegen eine Bundesregierung, der dann mutmaßlich ein CDU-Kanzler Friedrich Merz vorsteht. Angesichts einer CDU-BSW-SPD-Regierung in Thüringen wäre dies eher schwierig.

Vor allem deshalb soll Wolf demontiert werden. Der Bundesvorstand unterstützt gleich mehrere Kampfkandidaturen gegen die Landeschefin. Offizielle Begründung: Sie und ihr Co-Chef Schütz könnten als Mitglieder der Landesregierung nicht mehr effektiv den Parteiaufbau leiten. Um das Argument zu stärken, wurde in Brandenburg der BSW-Vizeregierungschef Robert Crumbach dazu gebracht, seinen Landesvorsitz zur Verfügung zu stellen.  

Doch Wolf will nicht weichen. In einem taktischen Manöver verzichtete zuletzt Schütz auf den Co-Vorsitz, wobei man sogleich einen genehmen Nachfolgekandidaten präsentierte.

Die Folgen für Sahra Wagenknecht – und Thüringen

Der Ausgang des Landesparteitages ist offen. Denkbar sind drei Szenarien. Am wahrscheinlichsten gilt derzeit Szenario 1: Wolf hält sich im Amt und bekommt den von ihr gewünschten neuen Co-Vorsitzenden. Dann hätte Wagenknecht vorerst verloren, die Koalition wäre einigermaßen sicher. Der Machtkampf würde sich aber fortsetzen. 

Szenario 2: Wolf bleibt im Amt, bekommt aber als Co-Chefin die Gegenkandidatin Anke Wirsing an die Seite gewählt. Mit der Landtagsabgeordneten hätte Wagenknecht eine treue Verbündete in der Landesspitze – und im Koalitionsausschuss. Die erste Koalitionskrise inklusive potenziellem Austritt wäre nur eine Frage der Zeit. Gut möglich, dass es dann auch zur Spaltung der Landespartei käme.

Szenario 3 ist zumindest nicht ausgeschlossen: Wolf wird gegen ihren Willen abgewählt. Sie hätte damit auch einen Großteil ihrer Autorität als Regierungsmitglied eingebüßt und sähe sich Rücktrittsforderungen ausgesetzt. Die Koalitionskrise träte sofort ein.

Was würde ein Koalitionsbruch bedeuten?

Wagenknecht dementierte am Donnerstagabend in einem internen Mitgliederschreiben jede Destruktionspläne. „Diese mediale Inszenierung schadet unserer Partei und entspricht nicht der Realität“, schrieb sie. „Unsere Partei braucht starke Regierungsmitglieder und einen selbstbewussten Landesvorstand, um BSW-Positionen bestmöglich zu vertreten.“

Tatsächlich aber war Wagenknechts Ziel immer der Bund. Ein Thüringer Koalitionsbruch wäre aus ihrer Sicht ein notwendiger Kollateralschaden. Der Nebeneffekt: Die Bundesspitze könnte ihren Mitgliedern und Wählern verkünden, dass das BSW seine Prinzipien über Regierungsposten stellt.

Und Thüringen? Ein Großteil der Landtagsfraktion hält noch zu Wolf. Die meisten Abgeordneten dürften im Zweifel lieber aus dem BSW austreten und weiter die Regierung stützen. Vielleicht blieben dann Wolf und Schütz sogar Minister.

Die fehlenden Stimmen im Landtag könnte die Linke wettmachen. Schon jetzt kommt die CDU-BSW-SPD-Koalition unter Ministerpräsident Mario Voigt nur auf 44 der 88 Sitze, also auf ein Patt. Der Landeshaushalt konnte kürzlich nur mithilfe von Stimmen aus der Linke-Fraktion verabschiedet werden.

Aber das Risiko bliebe groß. Die größte Fraktion im Thüringer Landtag wartet nur auf ihre Machtchance: Es ist die AfD – unter Führung von Björn Höcke.