Schwarz-rote Zitterpartie: Unruhe in der SPD: Die Jusos lehnen den Koalitionsvertrag ab

In der SPD wächst die Nervosität: Der SPD-Nachwuchs macht bei Schwarz-Rot nicht mit, Juso-Chef Philipp Türmer lehnt den Koalitionsvertrag ab – und fordert Nachbesserungen.

Der Zeitpunkt ist wohl gewählt, die Ansage des Juso-Vorsitzendenden unmissverständlich: Der SPD-Nachwuchs macht da nicht mit. Im Willy-Brandt-Haus, der Berliner Parteizentrale, brechen jetzt turbulente Tage an.

„Wir müssen leider sagen“, setzt Philipp Türmer am frühen Montagmorgen im „Frühstart“ von RTL/ntv an: „Für uns reicht es nicht.“ In zentralen politischen Feldern gehe der Vertrag „den falschen Weg“, sagt Türmer. „Deswegen müssen wir sagen: Unser Votum lautet Ablehnung. Für die Zustimmung der Jusos bräuchte es deutliche Nachbesserungen.“ 

Der Juso-Vorsitzende probt den Aufstand, gefährdet damit absichtsvoll die schwarz-rote Regierungsbildung. Denn die Absage an den Koalitionsvertrag platzt – sicher nicht zufällig – mitten in die Abstimmung der Parteibasis über das 144-Seiten-Konvolut, das die Spitzen von Union und SPD am vergangenen Mittwoch präsentiert hatten. 

Ab Dienstag können alle SPD-Mitglieder über das Vertragswerk abstimmen, das Ergebnis soll am 30. April bekanntgegeben werden. Hebt oder senkt die Basis den Daumen über den Koalitionsvertrag, muss sich die SPD-Führung laut Parteistatut an das Ergebnis halten – und im Zweifel die kleinste Große Koalition, die das Land je gesehen hat, platzen lassen. Bevor diese ihre Arbeit aufgenommen hat. Das wäre ein Novum. 

Das Zünglein an der Waage?

Die Absage respektive Ansage des Juso-Chefs Türmer, 29, ist daher nicht zu unterschätzen: Dem SPD-Nachwuchs kommt eine Schlüsselrolle bei dem Votum zu, schon 2017/2018 hat Türmers Amtsvorvorgänger Kevin Kühnert mit einer NoGroKo-Kampagne gegen eine Neuauflage der großen Koalition mobilisiert und die Mutterpartei vor sich hergetrieben. Die Jusos zählen nach eigenen Angaben mehr als 70.000 Mitglieder. Insgesamt hat die Partei insgesamt rund 360.000 Parteimitglieder. Sie könnten das Zünglein an der Waage sein für ein praktisch alternativloses Bündnis, das vieles in der SPD auslöst, nur keine Euphorie. 

Am Ende sei es maßgeblich, sagt Türmer im „Frühstart“, ob es inhaltlich reiche für eine „wirklich andere Politik“. In den Bereichen Asyl, Migration, Arbeit und Soziales gehe der Vertrag „den falschen Weg“. An anderen Stellen, den Steuern und Finanzen, sei das Papier zu ambitionslos. Den Finanzierungsvorbehalt nennt Türmer eine „tickende Zeitbombe“: Schon bei der Ampel habe sich die ungeklärte Finanzierungsfrage als Sollbruchstelle erwiesen, ein Fehler, der sich nicht wiederholen sollte. 

Generalsekretär Matthias Miersch hatte vor einem „Spiel mit dem Feuer“ gewarnt und den Konsequenzen einer möglichen Ablehnung, diese könnte „deutliche Rückschritte“ in den Bereichen Migration oder Soziales zur Folge haben. 

Der Juso-Chef macht nun seine Drohung wahr. Türmer hatte sich schon nach den schwarz-roten Sondierungen im stern entsetzt gezeigt und „schlichtweg erschüttert“ im Bereich Migration und Asyl. „Ich könnte einem Koalitionsvertrag mit diesem Inhalt so nicht zustimmen“, sagte Türmer seinerzeit. 

SPD-Führung unter Druck

Damit bringt der Jungsozialist die SPD-Führung in eine verzwickte Lage, allerdings auch sich selbst. Denn ohne Risiko ist das Manöver, mit dem der Juso-Chef offenkundig weitere Zugeständnisse von der Union im schwarz-roten Vertragswerk erzwingen will, freilich nicht. 

Es darf als höchst unwahrscheinlich gelten, dass die bei der Bundestagswahl zurechtgestutzte SPD (16,4 Prozent) dem deutlich stärkeren Koalitionspartner von CDU/CSU (28,6 Prozent) noch substanzielle Zugeständnisse abpressen kann. Auf Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil kommt somit eine knifflige Aufgabe zu, wenngleich ihm die Juso-Absage ein gewichtiges Argument für Nachverhandlungen in die Hand gibt und sogar zum Vorteil gereichen könnte. Nach der Devise: Friedrich, wenn ich den Jusos nichts gebe, droht der Crash.

Andererseits: Ist denn überhaupt Zeit für Nachverhandlungen, kann sich Deutschland Verzögerungen bei der Regierungsbildung erlauben? Türmers Vorstoß ereilt die sich auf der Zielgeraden befindende Koalition kurz vor knapp. Für den Juso-Chef, der im November 2023 knapp ins Amt gewählt wurde, geht es auch um die eigene Glaubwürdigkeit. Der Verband wird genau hinschauen, was ihr Vorsitzender für sie und die SPD rausholen kann – und wie weit er bereit ist für die Überzeugungen der Jusos zu gehen. Manch rebellischer Juso-Chef hat durch eine derartige Konfrontation, auch zur Mutterpartei, massiv an Profil und Sichtbarkeit gewonnen. Kevin Kühnert stieg schließlich zum SPD-Generalsekretär auf. 

Dieser Kühnert-Moment könnte jetzt auch für den 29-Jährigen gekommen sein, der ebenfalls als rhetorisch stark gilt und klare Kante zeigt – sich bislang aber vor allem zurückgenommen und eine Eskalation vermieden hat, wenn es sein musste. 

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