Nun also doch: Über Jahre hatte Stephan Weil die Gerüchte über einen Rückzug als Ministerpräsident zurückgewiesen. Jetzt gibt er das Amt weiter. Sein Nachfolger war einst sein Konkurrent.
Niedersachsens langjähriger Ministerpräsident Stephan Weil hört auf. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wird sich der 66-Jährige zum Mai sowohl als SPD-Landesvorsitzender als auch als Regierungschef zurückziehen. Um 14.00 Uhr äußert sich Weil in einer Pressekonferenz zur Abgabe der Ämter.
Nachfolger wird der Wirtschaftsminister des Landes, Olaf Lies. Der 57-Jährige war bereits von 2010 bis 2012 Landeschef der SPD und wollte schon damals Ministerpräsident werden. Vor der Landtagswahl 2013 musste er die SPD-Spitzenkandidatur nach einer Mitgliederbefragung aber Weil überlassen. Zwölf Jahre als Minister später wird er nun doch noch Regierungschef – weil ihn ausgerechnet der einstige Konkurrent jetzt in die Staatskanzlei hievt.
Mit der seit 2013 währenden Amtszeit von Weil endet in Niedersachsen eine Ära. Nur zwei aktuelle Ministerpräsidenten sind länger im Amt: Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt und Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Den niedersächsischen Rekord von Ernst Albrecht (CDU) wird Weil durch den vorzeitigen Rückzug allerdings verpassen: Der Vater von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war 14 Jahre Regierungschef.
„Prinz Charles von der Leine“
Die Wurzeln der Amtsübergabe liegen in einem SPD-Mitgliederentscheid im November 2011. Vor der Landtagswahl 2013 ließen die Sozialdemokraten die Genossen abstimmen, wer den damaligen Ministerpräsidenten David McAllister von der CDU herausfordern sollte. Der redegewandte SPD-Landesvorsitzende Lies, ein Menschenfänger und Umarmer – oder doch der erfahrenere, aber auch blassere Jurist Weil als Oberbürgermeister von Hannover?
Weil setzte sich damals knapp mit 53 zu 46 Prozent durch. Er übernahm die Spitzenkandidatur, den Landesvorsitz, den bis dahin Lies innegehabt hatte, und wurde zum Ministerpräsidenten gewählt. Lies blieb jedoch an seiner Seite – im Schatten von Weil zwar, doch als potenzieller Kronprinz. Oder, wie die „taz“ es formulierte: als „Prinz Charles von der Leine“. In den drei Regierungen von Weil war Lies erst Wirtschafts-, dann Umwelt- und erneut Wirtschaftsminister.
Zwei Esel, drei Hunde, zwei Minischweine
Ein echter Neuanfang ist der Wechsel zu Lies also nicht. Ein anderer Typ als Weil ist der gelernte Elektroingenieur aber schon, eher Typ Menschenfreund denn Bürokrat.
Der Friese wurde in Wilhelmshaven geboren und lebt bis heute nicht weit davon entfernt in Sande. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter – und viele Tiere: Hühner, Katzen, zwei Göttinger Minischweine, zwei Esel und drei Hunde, wie die „Hannoversche Allgemeine“ berichtete. Zur Politik kam Lies über die Gewerkschaftsarbeit. SPD-Mitglied ist er seit 2002, 2008 wurde er Landtagsabgeordneter.
2019 hätte Lies die Politik fast verlassen
Einmal wäre der ungeschriebene Plan vom Wechsel in die Staatskanzlei jedoch fast zerplatzt: Im Sommer 2019 hatte Lies ein hoch dotiertes Angebot des Energie-Lobbyverbands BDEW vorliegen – und kam ins Grübeln.
Lies blieb schließlich, meldete öffentlich keine anderweitigen Ansprüche mehr an und behielt dennoch großen Einfluss innerhalb der Partei. So war der mittlerweile 57-Jährige gerade erst an den laufenden Koalitionsverhandlungen im Bund als Leiter der SPD-Arbeitsgruppe für Energie und Klima beteiligt.
Krisenmanager Weil war eine Konstante in unruhigen Zeiten
Das SPD-Kalkül hinter der Machtübergabe in Hannover lautet: Lies soll einen Amtsbonus bekommen, bevor voraussichtlich im Herbst 2027 der Landtag neu gewählt wird.
Die Nachfolge von „Landesvater“ Weil anzutreten wird für Lies dennoch eine Herausforderung. Weil war in der Partei unangefochten, mit seiner ruhigen, bodenständigen Art schaffte er es, dass die SPD im Land zuletzt immer bessere Wahlergebnisse erzielte als bundesweit. Und: Weil agierte häufig auch als Brückenbauer zwischen der Landes- und Bundespolitik, auch wenn er keine Führungsrolle in der Bundes-SPD hatte.
Opposition sieht Weil in Mitverantwortung für die VW-Krise
Oft war Weil dabei als Krisenmanager gefragt, unter anderem in der Corona-Pandemie. Während andere auf markige Sprüche und Alleingänge setzten, suchte er dabei stets den Konsens und den Kompromiss.
Weils Nebenamt als VW-Aufsichtsrat verlief derweil turbulent: Die Dieselaffäre bei Volkswagen brachte den Autoriesen über Jahre in Verruf – der Landeskasse aber immerhin eine Bußgeldzahlung von einer Milliarde Euro ein.
Die aktuelle Flaute bei VW trübt jedoch auch die Stimmung in Niedersachsens Wirtschaft insgesamt. Hustet VW, hat Niedersachsen eine Grippe, heißt es. Nach Ansicht der Opposition trägt Weil als langjähriger Aufsichtsrat dafür angesichts des in dieser Zeit beschlossenen Fokus auf Elektromobilität eine Mitverantwortung. Das Land hält 20 Prozent der Stimmrechte im VW-Konzern.
Die CDU warf Weil zudem vor einigen Tagen schon vorsorglich einen Wortbruch vor, sollte er sich vorzeitig zurückziehen. Denn über Jahre hatte Weil auf die Spekulationen angesprochen immer beteuert, er bleibe bis zur nächsten Wahl im Amt, sofern seine Gesundheit es zulasse.