Border-Collie-Syndrom: Das Problem mit der Ruhe: Warum wir alle nicht mehr still sitzen können

Sie verspüren Rastlosigkeit, können Ruhe kaum aushalten? Schnell ablenken! Der stern hat den Psychotherapeuten Jürgen Tripp gefragt, woher die Unruhe kommt und was dagegen hilft.

Die Welt ist laut und schnell und wird immer schneller. Zumindest fühlt es sich so an. Vor dem Frühstück ein bisschen Sport, auf dem Klo durch die Social-Media-Welt scrollen und in der Mittagspause kurz den Wocheneinkauf erledigen – wir sind daran gewöhnt, jede freie Minute zu nutzen und uns ständig und überall ablenken zu können. Viele können gar nicht mehr still sitzen. Sie werden unruhig, wenn auch nur kurz Ruhe herrscht. Dem Gehirn ein bisschen Leerlauf gönnen? Bloß nicht! Die Populärwissenschaft hat für diese zunehmende Zappelphilippisierung die Bezeichnung Border-Collie-Syndrom gefunden.

Das Border-Collie-Syndrom steht eigentlich für ein auffälliges Verhalten gleichnamiger Hunde. Das entsteht, wenn die energiegeladenen Hütehunde physisch und psychisch nicht ausgelastet sind. Immer öfter taucht die Bezeichnung auch in Bezug auf Menschen auf, die ständig beschäftigt sein müssen, um sich gut zu fühlen. Eine medizinische Diagnose ist das nicht, aber ein eingängiges Bild. Der stern hat bei dem psychologischen Psychotherapeuten Jürgen Tripp nachgefragt, woher diese sich ausbreitende Rastlosigkeit kommt und was man ihr entgegensetzen kann.

Wir verlernen das Nichtstun

Tripp sagt, durch unsere moderne Umwelt seien wir ein sehr hohes Maß an Stimulation gewöhnt. Während man früher einfach an der Bushaltestelle gestanden und gewartet habe, sei nun der Griff zum Smartphone ein Leichtes. „Man hat die Ablenkung immer zur Hand“, erklärt der Therapeut. Dazu komme die einhergehende Zugänglichkeit von Social Media, die darauf ausgerichtet sei, Anwender immer wieder in soziale Interaktionen zu ziehen und dabei auch Suchtmechanismen im Gehirn nutze. „Die ständige Stimulation sorgt dafür, dass sich die Menschen abtrainieren, das Nichtstun und die Langeweile auszuhalten“, sagt Tripp. Fallen sie dann einmal auf sich selbst und die eigenen Gedanken zurück, könne das nicht nur ungewohnt, sondern sogar überfordernd sein.

Als Therapeut begegne ihm häufiger das Phänomen, dass Patienten und Patientinnen Ruhe nicht gut aushalten können und dies dann durch ein hohes Maß an Aktivität oder ständige Ablenkung versuchen zu kompensieren. Man müsse jedoch dabei immer im Einzelfall und im Kontext der jeweiligen Diagnose schauen, welche Funktionalität dieses Verhalten hat. Ob beispielsweise eine Depression, eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung ursächlich ist.

Aber nicht bei jedem, der den Begriff Border-Collie-Syndrom aufschnappt und glaubt, sich darin wiederzuerkennen, stecke ein tiefergehendes psychisches Problem dahinter. „Hier finde ich es wichtig zu entpathologisieren und so einen Modebegriff nicht zu wichtig zu nehmen“, mahnt Tripp. Denn Mensch ist nicht gleich Mensch. Während manche die ewige Rumwuselei schlauche, sie eigentlich Ruhepausen nötig hätten, gebe es auch die, die aus dem vielen Input sogar Energie generierten. 

Rastlosigkeit muss nicht krankhaft sein

Motive dafür, dass Menschen jede freie Minute ihres Tages durchtakten, gibt es viele – vom eigenen (perfektionistischen) Anspruch bis hin zum Vergleich mit anderen. Aber woran merkt man, ob man einfach nur sehr aktiv ist oder doch schon rastlos?

Wichtig sei, dass man sich ab und zu selbst überprüfe und ausprobiere, wie es ist, wenn man das Handy einmal bewusst in der Tasche lässt, sagt Tripp. „Kann ich mit der Ruhe umgehen oder nicht? Überfordert sie mich vielleicht sogar?“ Falle das Aushalten schwer, könne das ein Signal dafür sein, dass man seine Angewohnheiten hinterfragen sollte.

Gesund sei es, die Gedanken auch einmal schweifen zu lassen und Stille akzeptieren zu können. Klassische Meditations- und Entspannungstechniken könnten dabei helfen, die Aufmerksamkeit nach innen zu richten und das Erregungsniveau zu regulieren. Helfen solche Übungen nicht und es geht einem dauerhaft schlecht, empfehle sich das Gespräch mit einem Therapeuten.