Reicht das Gespräch in der Familie oder mit Freunden nicht mehr, können vielleicht Menschen mit ähnlichen Erfahrungen helfen. Es gründen sich immer neue Selbsthilfegruppen, alte fallen auseinander.
Ob es um Krankheiten geht, Ängste, Schicksalsschläge oder Süchte: Betroffene wollen sich gern mit Menschen austauschen, die ein ähnliches Schicksal haben. „Die Nachfrage nach Selbsthilfegruppen ist weiterhin sehr hoch“, sagte Romy Kauß, Referentin für Gesundheit und Selbsthilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Sachsen-Anhalt. Die Zahl der Gruppen liegt nach ihrer Einschätzung weiter bei etwa 1.200.
„Das zunehmende Gefühl der Unsicherheit, zum Beispiel auch durch gesellschaftliche Krisen, führt zu einem steigenden Bedürfnis nach gegenseitigem Austausch und Unterstützung“, erklärte Kauß. Insbesondere jüngere Menschen sind in ihrer Orientierung und Entwicklung herausgefordert. Dies führt häufig zu einem individuellen Anstieg von psychischen Belastungen.
Deutlicher Anstieg von Neugründungen nach Corona
Nach der Corona-Pandemie sei ein deutlicher Anstieg von Neugründungen von Selbsthilfegruppen zu beobachten, die eine Vielzahl von Themen wie Ängste, Depressionen, Zwänge und andere psychische Herausforderungen abbildeten, so Kauß. Neugründungen habe es etwa auch zu den Themen verlassene Eltern, ungewollte Kinderlosigkeit, Stalking, Mobbing, Einsamkeit, Gewalt und Missbrauch gegeben. Es lösen sich aber immer wieder auch Gruppen auf, etwa weil sich für eine ausscheidende Gruppenleitung keine Nachfolge findet.
Selbsthilfegruppen sind kostenfrei, niedrigschwellig und ohne Antrag nutzbar. Die Betroffenen profitieren von den Erfahrungen der anderen und können sich so eine Bewältigungsstrategie erarbeiten.
Pflegende Angehörige, Demenz – Strukturen wandeln sich
Kauß sieht die traditionellen Selbsthilfestrukturen im Wandel, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit spezifischen Gruppen wie pflegenden Angehörigen, Menschen im Frühstadium von Demenz, Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Missbrauchserfahrungen. „Es ist wichtig, Selbsthilfeangebote zu schaffen, die auf die individuellen Bedürfnisse dieser Gruppen zugeschnitten sind.“
Durch gezielte Begleitung und Moderation könnten Diskussionen so gelenkt werden, dass die Teilnehmenden ihre Bedürfnisse angemessen vertreten könnten. Die Förderung und Finanzierung begleiteter Selbsthilfegruppen stelle aktuell eine große Herausforderung dar.
Krankenkassen finanzieren Selbsthilfe mit rund 1,9 Millionen Euro
Im Rahmen der Gemeinschaftsförderung in der Gesetzlichen Krankenversicherung Sachsen-Anhalt wurden den Selbsthilfegruppen im vergangenen Jahr rund 1,9 Millionen Euro ausgezahlt, wie aus Zahlen der federführenden AOK hervorgeht. Gefördert wurden damit auch Selbsthilfekontaktstellen, die koordinieren und bei Neugründungen unterstützen, sowie Selbsthilfeorganisationen.
Die AOK reicht neben dieser Pauschalförderung eine Individualförderung für die Selbsthilfe aus. Einem Sprecher zufolge waren das 2024 weitere 288.000 Euro.