Im Wahlkampf verschiebt sich etwas: Statt zu einem Duell zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz kommt es plötzlich zu einem Kräftemessen rechts außen. Das hat Folgen.
Friedrich Merz führt die Debatte nun von rechts, offenkundig in der Absicht, den Vorsprung seiner Union ins Ziel zu bringen. Nach den Morden von Aschaffenburg verschärft er die Tonlage, erklärt den Kampf gegen illegale Migration und gewalttätige Zuwanderer zu seinem Kernanliegen. Das Maß sei endgültig voll, ruft der Spitzenkandidat der Union und stellt vollmundig in Aussicht, als Kanzler den „Scherbenhaufen einer seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl und Einwanderungspolitik“ ab- und aufzuräumen. Spätestens.
Schon nächste Woche will er im Bundestag mit Anträgen die Reste-Ampel treiben und dabei offenbar in Kauf nehmen, dass die AfD ihm hilft. Wer mitstimme, sei ihm „egal“, sagt Merz. Er gehe bei dem Thema jetzt „all in“.
Analyse Parteien Aschaffenburg 14.00
Mit seinem Manöver setzt Merz gezielt einen Kontrapunkt zu Kanzler Olaf Scholz, den er für besagten „Scherbenhaufen“ mitverantwortlich macht: zu wenig, zu spät, zu zaghaft. Dass Scholz zwar rasch, aber vor allem frustriert auf die jüngsten Ereignisse reagierte und Bayern ein „Vollzugsdefizit“ attestierte, um erstmal Verantwortung von sich zu schieben, zahlt auf Merz‘ Vorstoß ein.
Dabei hatte der CDU-Chef immer wieder beteuert, keinen polarisierenden Migrationswahlkampf führen zu wollen. Natürlich stets versehen mit dem durchsichtigen Zusatz, es im Zweifel doch zu müssen, sollte die Ampel aus seiner Sicht nicht liefern. Nach Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg zieht Merz das Thema nun demonstrativ hoch und stürzt sich voller Verve darauf. Das mag bei vielen Wählerinnen und Wählern einen Nerv treffen. Dass sie deshalb lieber die Union als die AfD wählen, ist längst noch nicht gesagt.
Friedrich Merz, der Kompromisslose
Denn zum einen halst er sich vier Wochen vor der Wahl eine Debatte darüber auf, wie ernst er es mit der Brandmauer zur AfD meint, das bringt seine eigene Partei in Unruhe. Zum anderen sind viele der Vorschläge, die Merz nun einspeist, schwer umsetzbar. Merz schürt Erwartungen, die er kaum erfüllen kann. Sollte er tatsächlich Kanzler werden, könnten ihm seine schneidigen Versprechen noch auf die Füße fallen und zu großem Quell von Verdruss werden. Kompromisse seien „zu diesen Themen nicht mehr möglich“, meint Merz. Potenzielle Koalitionspartner dürften das anders sehen.
Merz spürt den Druck der AfD. Er sendet das Signal, dass der eigentliche Zweikampf bei dieser Wahl nicht zwischen CDU/CSU und SPD ausgetragen wird, sondern zwischen CDU/CSU und der extremen Rechten. Diese Form der Zuspitzung hat zwar bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg funktioniert – die Spitzenkandidaten von CDU (in Thüringen) und SPD (Brandenburg) gingen als Sieger aus den jeweiligen „Schicksalswahlen“ hervor –, wertet die Rechtspopulisten und ihr vermeintliches Wählerpotenzial allerdings auch drastisch auf. Auch die Spitze, lieber mit AfD-Chefin Alice Weidel ins TV-Duell gehen zu wollen, statt sich von Scholz narkotisieren zu lassen, verhilft den Rechtspopulisten zu unverhoffter Relevanz.
Der Vorteil, aus Merz‘ Sicht: Kanzler Olaf Scholz wird damit in der öffentlichen Wahrnehmung zum unbedeutenden Akteur im Wahlkampf gestutzt. Zumal die Asyl- und Migrationspolitik ein Defensivthema für die Sozialdemokraten ist, bei dem es nicht viel zu gewinnen gibt. Für Scholz dürfte es unmöglich sein, bei diesem Thema in die Vorhand zu kommen. Selbst wenn er Merz‘ Knallhart-Kurs noch zu toppen versuchte: Viel Luft nach oben wäre da nicht.
„Du kannst ein Stinktier nicht überstinken“, sagte der frühere CSU-Generalsekretär Markus Blume rückblickend zur gescheiterten Strategie der Christsozialen, der AfD mit ihrem Sound das Wasser abzugraben. Merz‘ Vorstoß ist daher ein Wagnis, in vielerlei Hinsicht. Die Kanzlerpartei warnt schon vor Schwarz-Blau, der CDU-Chef hat ihr neue Munition für den Wahlkampf geliefert. Welche Strategie sich durchsetzt, zeigt sich am 23. Februar.