Rechtfertigt eine Krankheit eine Lohnkürzung? Der Allianz-Chef möchte Beschäftigten am ersten Krankheitstag den Lohn streichen. Dabei gibt es viel schlauere Lösungen.
So schnell kann sich die Stimmung drehen. Es ist noch nicht lange her, da wurden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der öffentlichen Debatte geradezu hofiert. Unternehmer erkannten an, dass sie selbst einiges bieten müssen, um Fachkräfte anzulocken. In der Arbeitswelt wurde über New Work diskutiert, über flexibles Arbeiten oder gar über eine Vier-Tage-Woche.
Nun ist Wirtschaftskrise, und gegen die eben noch umgarnten Beschäftigten darf offenbar wieder verbal scharf geschossen werden. Vor allem der hohe Krankenstand ist dabei ins Visier der Chefs geraten. Mercedes-Boss Ola Källenius erklärte kürzlich, es sei in Deutschland viel zu einfach, sich krankzumelden. Und Allianz-Chef Oliver Bäte fordert nun gar, dass Beschäftigte am ersten Krankheitstag grundsätzlich keinen Lohn bekommen sollen. STERN C Teilzeitkrankschreibung 09.13
Lohnkürzung bei Krankheit? Zurück in die 60er-Jahre
Ein solcher Karenztag ist in Deutschland 1970 abgeschafft worden. In Schweden, Spanien oder Griechenland gibt es ihn heute noch. Und auch der Allianz-Boss würde die Zeit gern ein paar Jahrzehnte zurückdrehen, um Blaumacher abzustrafen und den Arbeitgebern Milliardenkosten für Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall zu ersparen. „Deutschland ist mittlerweile Weltmeister bei den Krankmeldungen“, wetterte Bäte im Handelsblatt.
Der Vorschlag vergiftet das Klima zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern. Er verkennt die wahren Probleme, und selbst wenn man ihn umsetzen würde, ist fraglich, ob er zu wirklichen Lösungen führt oder nur neue Probleme schafft. STERN PAID – Null Bock Tage Einhorn 05.38
Krankheitstage werden besser erfasst als früher
Schon die Analyse, dass die Deutschen sich zum Volk der Blaumacher entwickeln, lässt sich kaum halten. Zwar ist die Zahl der gemeldeten Krankheitstage pro Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren tatsächlich gestiegen. Auch liegt sie höher als in vielen anderen Ländern. Die Gründe dafür aber sind vielfältig.
Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) kam in einer Studie Ende Oktober zu dem Schluss: Hauptgrund für den Anstieg der Fehlzeiten seit 2022 ist, dass diese einfach besser erfasst werden als früher: „Der Großteil des Anstiegs ist auf die elektronische Erfassung der Krankmeldungen zurückzuführen.“ Zwar spielten die Möglichkeit der telefonischen Krankmeldung und die großzügigen Regeln der Lohnfortzahlung den Ökonomen zufolge auch eine Rolle. Aber zu einem wesentlichen Teil ist das Problem offenbar ein statistisches Phänomen.
Natürlich würde die Streichung des Lohns am ersten Krankheitstag den einen oder anderen vom leichtfertigen Krankfeiern abhalten. Sie würde aber gleichzeitig wesentlich mehr ehrliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bestrafen, die wirklich krank sind. Und ist uns wirklich geholfen, wenn sich wieder mehr Beschäftigte krank auf die Arbeit schleppen und die Kollegen anstecken, weil sie meinen, sich den Erholungstag nicht leisten zu können?
Es gibt andere Lösungen
Bestraft werden auch insbesondere die, die sich nach einem Tag Auszeit schnell wieder in den Sattel schwingen, während der Effekt bei Menschen, die länger krank sind, ziemlich verpufft. Außerdem: Bei Wiedereinführung des Karenztags wäre es für Arbeitnehmer allemal günstiger, sich vorsorglich gleich die ganze Woche krankschreiben zu lassen, statt Gefahr zu laufen, zweimal einen Tag zu fehlen. So könnte die Rechnung der Arbeitgeber schnell nach hinten losgehen.
Dazu kommt die soziale, oder besser gesagt unsoziale, Dimension des Vorschlags. Geringverdiener trifft ein Tag Lohnausfall wesentlich härter als Besserverdiener. Zudem profitieren Menschen in besser bezahlten Jobs sowieso häufig von großzügigeren betrieblichen Regelungen, was auch hier zu erwarten wäre.
Um den Schaden für die Wirtschaft durch Fehlzeiten zu verringern, gäbe es schlauere Lösungen als die Drohung mit Karenztagen. Bei leichten Erkältungen könnten Arbeitgeber ihren Mitarbeitern das Homeoffice anbieten, das Maskentragen wieder einführen oder – etwas spezieller – eine Teilzeitkrankschreibung anbieten, wie es sie in Schweden gibt. So lässt sich die Krankheit auskurieren, ohne dass man gleich den ganzen Tag auf dem Sofa hängen muss.